Er wird zurecht als das Wohlfühlorgan bezeichnet: Der Darm. Bereits der griechische Arzt Hippokrates kam zu seinen Lebzeiten (300 vor Christus) zur Erkenntnis, dass ein gesunder Darm die Wurzel aller Gesundheit ist. Übernimmt er doch zahlreiche komplexe Aufgaben im menschlichen Körper – reagiert auf jede unserer Stimmungen, ist biochemisches Labor, Wächter des Immunsystems, Hormonfabrik und Lebensraum für eine Vielzahl von Bakterien.
Geht es dem Darm gut, fühlen wir uns wohl. Macht er uns Probleme, fühlen wir uns lustlos, müde und erschöpft. Der Einfluss des intestinalen Mikrobioms auf die Gemütslage ist eine der wichtigsten Erkenntnisse der gegenwärtigen wissenschaftlichen Forschung.
Tabuthema Darm und der Einfluss auf unsere Psyche
Es wird nicht gern über ihn gesprochen. Dabei spielt der Darm nicht nur eine zentrale Rolle in unserem Immunsystem, er beeinflusst auch über die Bildung von Botenstoffen direkt unsere Psyche. Ob jemand auf Stress ruhig und bedacht reagiert oder ob ihm emotionale Belastungen sofort auf den Magen schlagen – der Darm ist ein hochsensibles Organ, ein Leben lang.
Zahlen und Fakten über unseren Darm
Mit einer Länge von ungefähr 8 Metern und einer Oberfläche von ca. 200 – 400 m2 zählt der Darm entwicklungsgeschichtlich zu den ältesten Organsystemen. Mit seiner riesigen Kontaktfläche schafft er die idealen Voraussetzungen für eine effektive Aufnahme und Verwertung von Nährstoffen. Der Darm ist aber bei weitem nicht nur für die Nährstoffaufnahme zuständig, sondern auch für die Bildung von Vitaminen und die Stimulation der Darmperistaltik. Er bietet uns ein Schutzschild gegenüber schädlichen Keimen und stärkt unser Immunsystem – beherbergt er doch 70 % aller Abwehrzellen. Auch die Produktion von kurzkettigen Fettsäuren wie Essigsäure (Acetat) und Buttersäure (Butyrat), die das Darmmilieu mitbestimmen, hat er fest im Griff. Kurzkettige Fettsäuren dienen unter anderem als Energiequelle für Darmschleimhautzellen und sind für die Aufrechterhaltung der Darmbarriere unerlässlich.
Darmschleimhaut und intestinales Mikrobiom = funktionelle Einheit
Die menschliche Darmschleimhaut (Darmmucosa) ist sehr empfindsam. Sie wird durch die mikrobielle Besiedelung des Darms – umgangssprachlich als Darmflora bezeichnet – vor dem direkten Kontakt mit dem Nahrungsbrei geschützt. Ist die Darmflora geschädigt, können Bestandteile des Darminhalts die Schleimhaut reizen. Dadurch wird sie für unerwünschte Nahrungsbestandteile, z.B. Allergene oder andere potenziell krankmachende Keime durchlässiger, während gleichzeitig die Aufnahme von Mikronährstoffen gestört sein kann. Der Körper reagiert mit Verdauungsproblemen wie etwa Durchfällen, Reizdarm und erhöhter Infektions- und Allergieanfälligkeit. Zu den Stressoren für die Darmflora zählen neben einer ungesunden und ballaststoffarmen Ernährung sowie Bewegungsmangel auch psychische Belastungen wie Stress oder Ängste.
Wenn die Stimmung auf den Darm trifft
Seinem „Bauchgefühl“ vertrauen oder Entscheidungen „aus dem Bauch heraus“ zu treffen: Oftmals ignoriert oder verkannt. Doch die Neurowissenschaft belehrt uns mittlerweile eines Besseren, denn Darm und Gehirn sind viel stärker vernetzt, als man glauben würde. Unser Darm arbeitet tatsächlich als zweites Gehirn – und das recht eigenständig. Denn bewiesenermaßen besitzt unser Darm ein selbstständig funktionierendes Nervensystem, das über sehr viel mehr Nervenzellen verfügt als unser Gehirn. Das intestinale Mikrobiom des Menschen steht in engem Zusammenhang mit metabolischen Prozessen im Körper, moduliert psychische und emotionale Vorgänge über die sogenannte Mikrobiom-Darm-Gehirn-Achse. Da ist es nicht verwunderlich, wenn wir häufig das Gefühl haben, der Bauch hätte genauso viel Einfluss auf unsere Entscheidungen wie unser Gehirn. Ein wesentlicher Vorteil des Bauchgefühls oder der Intuition: es reagiert schneller als der Kopf es kann. Vielen werden Redewendungen wie „Ist Ihnen schon mal die Galle hochgekommen“ oder „Schmetterlinge im Bauch“ sicherlich bekannt vorkommen. Unser Bauch hat Hirn – und was für eins.
95 % des Glückshormon werden im Darm erzeugt.
Der Darm: Hormonfabrik de luxe. Unsere Nervenzellen im Verdauungstrakt sind gleich aufgebaut wie die im Gehirn. Rein entwicklungsgeschichtlich haben beide denselben Ursprung. Und deshalb verwenden sie auch beide dieselben Botenstoffe. Allen voran unser Wohlfühlhormon Serotonin, welches für die kognitiven Funktionen von wesentlicher Bedeutung ist. Unsere Darmbakterien sind maßgeblich an der Serotoninsynthese beteiligt. Auch andere Neurotransmitter und Stresshormone stehen in enger Verbindung mit der Darm-Gehirn-Achse: Adrenalin, Noradrenalin, Dopamin, GABA, Glutamat und Cortisol. Wenn die Darmschleimhaut aufgrund von äußeren Einflüssen wie Stress reagiert, reagieren auch unsere Darmbewohner und verschwinden oder sterben. Denn Stress aktiviert die Mastzellen im Darm und führt zu einer Steigerung der Durchlässigkeit der Darmbarriere – dies gilt auch für die Blut-Hirn-Schranke. Dadurch können Antigene (Nahrungsbestandteile, Toxine, Lipopolysaccharide, etc.) aus dem Darmlumen in Blut- und Lymphbahnen gelangen und eine Immunantwort hervorrufen.
Um die Gehirngesundheit positiv zu unterstützen, gilt es in erster Linie den Darm zu stärken. Darmbakterien sind nicht nur dazu in der Lage, die aufgenommene Nahrung zu verwerten und unverdauliche Stoffe zu spalten. Sie synthetisieren lebenswichtige Vitamine und antimikrobielle Substanzen, die das Wachstum pathogener Bakterien eindämmen. Zudem wirken sie positiv auf Darmepithel und -schleimhaut sowie das Immunsystem und nicht zuletzt unsere Stimmungslage. Studien zeigen, dass Laktobazillen und andere Darmbakterien die Kommunikation zwischen Darm und Gehirn beeinflussen. Sie können unseren Gefühlszustand mitbestimmen und einen positiven Einfluss auf die Gesundheit und die Psyche nehmen. Die Bildung des Neurotransmitters Gamma-Aminobuttersäure – auch als GABA bekannt – wird beispielsweise von Stämmen wie Lactobacillus plantarum und Bifidobacterium adolescentis beeinflusst. GABA ist einer der wichtigsten dämpfenden Neurotransmitter im Gehirn und wirkt beruhigend und angstlösend.
Fazit
Das Ökosystem Darm ist zentral für unsere Gesundheit. Die komplexen Zusammenhänge zwischen dem intestinalen Mikrobiom und dem Wirt Mensch beeinflussen nicht nur die Immunabwehr und den Stoffwechsel, sondern auch unsere Gefühlswelt. Man könnte erwarten, dass wir ihm entsprechende Aufmerksamkeit und Pflege zukommen lassen. Allzu oft ist das Gegenteil der Fall: Es ist wichtig, dem Darm mehr Achtsamkeit und Wertschätzung entgegenzubringen. Eine für den Darm angepasste Ernährung, die möglichst aus vielfältigen, unverarbeiteten, biologischen sowie heimischen und pflanzlichen Nahrungsmitteln besteht, sollte im Vordergrund stehen. Es lohnt sich, sich um sein Wohlfühlorgan zu kümmern – Tag für Tag!