Das junge Forschungsfeld der Nutrigenetik bringt Licht in die dunklen Ecken der Ernährungswissenschaften. Durch die Gene lassen sich die unterschiedlichen, mitunter widersprüchlichen, Ergebnisse vieler ernährungswissenschaftlicher Forschungen gut erklären. Denn jeder Mensch ist zwar fast zur Gänze mit denselben Genstellen ausgestattet, jedoch sind diese von Mensch zu Mensch unterschiedlich aktiv. Das führt zu einer individuellen Verstoffwechselung der Nährstoffe.
Jeder Mensch verarbeitet auf Grund seiner Genetik die zugeführte Nahrung anders.
Was ist Nutrigenetik?
Nutrigenetik ist der Einfluss der Gene auf die Verstoffwechslung von Nährstoffen.
Um die Nutrigenetik zu verstehen, betrachtet man am besten die Genstellen, die beim Menschen unterschiedlich aktiv ausgeprägt sind und deren gemeinsamer Effekt aber sehr prominent ist – die Fähigkeit Laktose abzubauen.
Es gibt mehrere Genstellen die bestimmen in welcher Menge die Beta-Galaktosidase synthetisiert wird. Die Beta-Galaktosidase ist das Enzym das für den Abbau von Laktose benötigt wird. Eine Genstelle besteht aus einem Code, einer Abfolge von 4 verschiedenen Bausteinen, hundertfach unterschiedlich aneinander gereiht. Diese Bausteine heißen Nukleotide und werden durch die vier Buchstaben C,G,T,A dargestellt. Die Kombination dieser Bausteine ergeben eine Genstelle (z.B CAAGTGACA….).
Es kommt z.B. durch Vererbung zu einzelnen Unterschieden in diesen Kombinationen. Diese Unterschiede werden single nucleotid polymorphisms (SNPs) genannt. Der SNP für Laktose-Intoleranz ist z.B. das 13910te Nukleotid in der Kombination, welches bei einem laktoseintoleranten Menschen ein anderes Nukleotid ist (C) als bei Menschen ohne Laktoseintoleranz (T). Durch diese kleine Änderung wird die Menge an dem Enzym für den Abbau von Laktose stark reduziert. Es kommen dann noch weitere Kombinationen verschiedener Gene miteinander und zusätzliche Regelungsebenen hinzu, aber das Grundprinzip bleibt dasselbe.
Nach diesem Prinzip werden die Stoffwechselvorgänge im Körper beeinflusst, unter anderem wie Fette, Kohlenhydrate und Eiweiße oder Mikronährstoffe wie Folsäure verarbeitet werden. So kommt es zu einer individuellen Verarbeitung der verschiedenen Nährstoffe.
Dadurch kann es sein, dass man mehr Folsäure benötigt als sein Partner oder z.B. das Schnitzel für seine eigene Gesundheit weniger dienlich ist als für die seiner Großmutter. Denn das Cholesterin im Schnitzel könnte für bestimmte Personen im Vergleich zu anderen ein größeres Risiko für eine Herz-Kreislauf-Erkrankung darstellen: Durch eine bestimmte genetische Voraussetzung könnten die nötigen Enzyme für die Verarbeitung dieses Cholesterins in reduzierter Menge oder Qualität synthetisiert werden. Doch keine Sorge, es handelt sich nur um Tendenzen, deren Auswirkung auf lange Sicht betrachtet werden muss. Darüber Bescheid zu wissen unterstützt einen auf seine Bedürfnisse abgestimmten Ernährungsstil.
Personalisierte Ernährung
Die Ernährung entwickelt sich durch die nutrigenetischen Informationen in die Richtung der Personalisierung. Denn die Tests werden erschwinglicher und immer mehr Menschen sind daran interessiert, wie ihre Physiologie eingestellt ist.
Es ist aber ein wichtiger gedanklicher Schritt nötig um dieses Thema für sich zu positivieren – Sie erfahren durch den Gentest wie ihre Situation ist und Sie können sich darauf einstellen. Es ist wie mit der Laktoseintoleranz. Sie trinken Milch, vielleicht vertragen Sie noch eine gewisse Menge, aber irgendwann bekommen Sie Bauchschmerzen mit Folgen.
Warum? Weil Ihre genetische Voraussetzung Ihnen die Aufnahme von einer geringen Menge an Laktose erlaubt. Man weiß das durch die Erfahrung und kann sich darauf einstellen. Ähnlich verhält es sich mit Folsäure. Wenn Sie wissen, dass Ihre Genstelle für Folsäure so ausgeprägt ist, dass Sie mehr Folsäure benötigen, können Sie sich darauf einstellen und darauf achten, mehr Folsäure zuzuführen.
Seine eigene genetische Ausstattung zu kennen ist wichtig, um seine Ernährung an die körperlichen Bedürfnisse anzupassen.
Jeder isst anders.
Die genetische Ausstattung ist aber kein vollkommener Zufall. Vieles ist eine Anpassung über Generationen aufgrund von äußeren Einflüssen und einer der fundamentalen Mechanismen der Natur. So weiß man heutzutage, dass ein Teil der indischen Bevölkerung auf den Verzehr von Fleisch anders reagiert als AmerikanerInnen.
Menschen in Indien, die sich aus Glaubensgründen über viele Generationen vegetarisch ernähren, zeigen eine andere Genetik als klassische amerikanische „FleischesserInnen“. Die Physiologie dieser Vegetarier ist darauf ausgelegt die Omega-6-Fettsäuren den Omega-3-Fettsäuren bei der Verarbeitung vorzuziehen. Das hat einen guten Grund: Auch wenn man sich denkt, Omega-6-Fettsäuren sind schlecht, so benötigt der Körper diese genauso. Tierische Lebensmittel zählen zu den Hauptquellen für Omega-6-Fettsäuren.
Über Generationen hat sich also der Körper auf eine Umweltbedingung eingestellt, nämlich eine im Verhältnis zu Omega-3-Fettsäuren geringe Omega-6-Fettsäuren-Aufnahme. Dadurch kommt es zu einer sinnvollen Bevorzugung der Omega-6-Fettsäuren um diese Umweltbedingungen zu kompensieren. Würde sich ein Mensch mit diesem genetischen Hintergrund plötzlich fleischreich ernähren, wären die gesundheitlichen Folgen bedenklich.
Das Feld der Nutrigenetik ist ein junges Forschungsfeld und es sind noch viele Neuerungen zu erwarten. Es sind schon einige Gene als Schlüsselfaktoren für die Ernährung bekannt aber auch bei diesen präzisieren sich die Informationen immer weiter. Die Effekte werden genauer nachvollziehbar und der Einfluss genauer einschätzbar, trotzdem sind die bekannten Informationen aber bereits gut belegt und der Mehrwert groß.
Wir leben in einer Zeit, in der das Self-tracking, Personalisieren von Gesundheitsprodukten und das Zentrieren auf sich selbst immer vordergründiger wird. Deshalb wird die genetische Information in Zukunft mit hoher Wahrscheinlichkeit einen zentralen Nutzen für viele Gesundheitsthemen haben. Seine eigene genetische Ausstattung zu kennen führt zu einem tieferen Wissen über sich selbst.
Die Forschung über Ernährung schafft es durch immer tiefere Erkenntnisse der Entfremdung zu seinem Essen entgegenzuwirken. Das Bild der reinen Energieaufnahme wurde durch idealisierte Ernährungsformen abgelöst, ganz nach dem Motto „Du bist was du isst“. Dieses Motto sollte sich in Zukunft aber erweitern denn:“ Du bist was du isst, wenn du isst was du bist.“